Wem würden Sie eher Ihr Vertrauen schenken? Dem etwas verwahrlost wirkenden Typen links, der an einen Obdachlosen unter der Seine-Brücke oder in der Zürcher Innenstadt erinnert? Oder der Frau von fast engelsgleicher Schönheit rechts, blond, blauäugig und mit ebenmässigen Gesichtszügen?

Zum Beispiel bei einer Wahl in ein politisches Amt. Oder wenn Sie entscheiden könnten, wer Ihre Chefin oder Ihr Chef werden soll.

Der Mann links heisst Don Giusto. Er ist Pfarrer in Como und kümmert sich dort um die Flüchtlinge, die nach der Reise übers Mittelmeer und durch Italien an dessen Nordgrenze gelandet sind. Viele sind minderjährig, ohne Gepäck, in Turnschuhen, gezeichnet von einer traumatisierenden Reise. Don Giusto kümmert sich um sie, seit Jahren und aus freien Stücken. Er verschafft Ihnen warme Mahlzeiten und öffnet ihnen sein Oratorium, damit sie sich an einem geheizten, trockenen Ort erholen können. Und er sucht Freiwillige, die den Gestrandeten Italienischkurse erteilen, unentgeltlich versteht sich.

Die Frau rechts heisst Eva Kaili und war bis vor Kurzem eine der Vizepräsidentinnen des EU- Parlaments. Sie steht im Verdacht, vom katarischen Emir mehrere hunderttausend Euro entgegengenommen zu haben. Die Gegenleistung: Sie hat im Europaparlament Stimmung für den Wüstenstaat gemacht. Katar sei besser als sein Ruf, bei den Menschenrechten habe das Emirat grosse Fortschritte gemacht, und es gehe nicht an, das Land dauernd durch die Negativbrille zu sehen. Kaili scheint der Mittelpunkt eines ganzen Korruptionsnetzes zu sein, zu dem auch ihr Lebenspartner gehört.

Eine philosophische Analyse braucht’s diesmal nicht. Die Bilder, erschienen in derselben Zeitung am gleichen Tag, sprechen für sich. Die Lektion über Schein und Sein, über Fassade und Wirklichkeit muss nicht ausgedeutscht werden.

Aus philosophiegeschichtlicher Sicht höchstens dies: Vielleicht hat es sich der grosse Platon zu einfach gemacht, wenn er in seinen Werken die Einheit des Guten, des Wahren und des Schönen behauptet hat.