Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als Autos ohne Katalysatoren unterwegs waren? Als man auch in öffentlichen Räumen rauchen durfte? Als wir ohne Tempolimit über die Autobahnen blochen konnten? Heute findet die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Katalysatoren, Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden und Tempo 120 selbstverständlich.
Bevor sie jedoch eingeführt wurden, bekämpften ihre Gegner sie mit dem immer gleichen Argument: Der Staat schränkt unsere Freiheit ein. Mit Katalysatoren wird Autofahren teurer, so dass manche es sich nicht mehr leisten können. In den Restaurants werden die Umsätze einbrechen, wenn Raucherinnen fernbleiben. 120 auf Autobahnen beschneidet unsere Freiheit, so schnell zu fahren, wie wir wollen. Kurz: mit Verboten schränkt der Staat unsere Freiheit ein.
Die Empörung, die bei diesem „Argument“ mitschwingt, beruht auf einem doppelt falschen Verständnis. Falsch ist die Vorstellung von Freiheit. Und falsch ist das Bild vom Staat.
Freiheit bedeutet nämlich keineswegs, dass jeder tun kann, was er will – ohne Rücksicht auf Verluste. Freiheit heisst vielmehr, tun und lassen können, was ich will – aber nur soweit, als ich damit die Freiheit anderer nicht einschränke. Und nur soweit, als ich vitale Interessen der Allgemeinheit nicht bedrohe.
Und der Staat wiederum ist nicht Big Brother. Er heisst nicht Putin oder Xi Jinping. Er besteht auch nicht aus einer Horde von Bürokraten oder Politikerinnen. Der Staat sind wir. Er vertritt die Interessen der Gesamtgemeinschaft. Und die sind in der Regel höher zu gewichten als die einzelner Gruppen.
Natürlich heisst das nicht, dass sich sämtliche Ansprüche von Einzelnen dem Allgemeininteresse unterzuordnen hätten. Der Staat muss auch berechtigte Interessen des Individuums schützen. Wir alle sind Individuen. Darum gibt es Menschen- und Bürgerrechte, die der Staat garantieren muss. Wo sie mit dem Allgemeininteresse kollidieren, muss die Politik die beiden gegeneinander abwägen.
Falsch ist hingegen die simple Formel: Der Staat nimmt uns die Freiheit weg. Insbesondere dann, wenn dabei selbstverständlich angenommen wird, dass letztere wichtiger ist. Dass sie darin besteht, dass ich mich an keine Regeln halten muss. Und dass es der böse Staat ist, der mir meine Freiheit nimmt.
Sie glauben, diese Haltung sei ausgestorben? Alle Menschen könnten vernünftig abwägen zwischen den Ansprüchen einzelner Gruppen und denen der Gesamtgesellschaft? Dann hören Sie hinein in die Debatten über Umweltschutz und Energiefragen, über Regulierungen in der Finanzbranche und Standards für die Tierhaltung, über Verkehrs- und Gesundheitspolitik. Und achten sie darauf, wie die Teilnehmenden da über die „Freiheit“ und den „Staat“ reden.