Worum geht es beim neuen Transplantationsgesetz? Und was lässt sich dazu aus ethischer Sicht sagen? Bisher gilt in der Schweiz die Regelung, dass ein Mensch zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt haben muss, dass man ihm nach dem Tod die Organe entnehmen darf. Die neue Lösung dreht den Spiess um und sagt, die Organe eines Verstorbenen dürfen verwendet werden, sofern dieser zu Lebzeiten nicht ausdrücklich das Gegenteil bestimmt hat.

Die erste Regelung nennt sich Zustimmungslösung, die zweite Widerspruchslösung, weil man eben ausdrücklich gesagt haben muss, man sei damit nicht einverstanden.

Die Vertreter der beiden Lösungen sind sich einig, dass jeder Mensch selber bestimmen kann, ob seine Organe nach dem Tod verwendet werden dürfen oder nicht. Ausserdem herrscht darüber Einigkeit, dass es natürlich sinnvoll ist, durch Organspenden so viele Leben wie möglich zu retten. Warum dann ein Konflikt?

Die Frage ist: Was geschieht, wenn der Verstorbene sich nicht dazu geäussert hat? In beiden Fällen stellt sich dieses Problem. Wir haben dann nämlich zwei Gruppen von Fällen. Bei der Zustimmungslösung diejenigen Verstorbenen, die mit ihren Organen Leben nicht retten können, obwohl sie dazu bereit gewesen wären. Und auf der andern Seite, der Widerspruchslösung, Menschen, denen Organe entnommen werden gegen ihren Willen.

Was ist schlimmer: dass Leben nicht gerettet werden? Oder dass einem Menschen nach seinem Tod Organe gegen seinen Willen entnommen werden? In Ländern, welche die Widerspruchslösung kennen, werden tatsächlich mehr Organe gespendet und damit mehr Menschenleben gerettet. Zugespitzt gefragt, was zählt mehr: ein Menschenleben oder die Organe eines Verstorbenen?

Die meisten Menschen würden vermutlich das erste höher gewichten. Allerdings betrachtet man dabei nur die Folgen. Die Philosophen sagen dem: utilitaristisch gedacht. Es geht allein um die Nützlichkeit. Nur was jemand letztlich mit seinem Handeln bewirkt, zählt.

Auf der Ebene der Rechte und der Pflichten sieht die Situation freilich ganz anders aus. Denn darin sind sich die beiden Seiten ja einig: Es gibt kein Recht auf das Organ eines andern Menschen. Und auf der andern Seite gibt es auch keine Pflicht, sein eigenes Organ zu spenden. Das sind Sätze, denen beide Lager zustimmen würden.

Allerdings würden hier die Vertreterinnen der Widerspruchslösung einwenden, die Menschen haben ja zugestimmt, nämlich indem sie sich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich gegen die Organentnahme ausgesprochen haben. Das heisst, man kann es als Zustimmung interpretieren, wenn ein Mensch sich nie in seinem Leben ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat, dass die eigenen Organe nach dem Tod gespendet werden können.

Die Vertreterinnen der Widerspruchslösung argumentieren also: Sich nicht geäussert zu haben, bedeutet automatisch, dass man auf das Recht verzichtet, nach seinem Tod die Organe zu behalten. Darf man das?

Darf man davon ausgehen, dass ein Mensch auf ein Recht verzichtet, wenn er dazu geschwiegen hat? Vielleicht aus Nachlässigkeit. Vielleicht auch, weil er es einfach vergessen hat. Gut möglich auch, dass er nicht mehr dazu gekommen ist, sich zu äussern.

Gerade für solche Fälle hat die schweizerische Widerspruchslösung eine Notbremse eingebaut. Nämlich: Die Angehörigen müssen ebenfalls befragt werden, bevor dem Verstorbenen die Organe entnommen werden können. Auch das ist aus ethischer Sicht zu berücksichtigen.

Dennoch bleibt die zentrale Frage:  Darf man Nichtäusserung als Verzicht auf ein Recht interpretieren? Diese Frage müssen Sie entscheiden.