Darf die Schweiz der Ukraine Waffen liefern? Welche ethischen Überlegungen gibt es dazu? Dass die Neutralität kein gewichtiges moralisches Argument liefert, habe ich in einem früheren Blog dargelegt. Sie ist ein juristisches und strategisches Prinzip, kein ethisches. Jetzt geht es vielmehr um die Frage: Darf man Menschen beim Töten unterstützen? Beispielsweise indem man ihnen Waffen dazu bereitstellt.

Da gibt es zwei gegensätzliche ethische Grundsätze, die zu unterschiedlichen Antworten führen. Man kann auch sagen zwei ethische Perspektiven: die der Verpflichtung und die der Folgen.

Die Pflichtethik betrachtet eine Handlung als solche und fragt: Ist sie statthaft? Darf man einem Menschen beim Töten helfen, etwa indem man ihm die Waffe in die Hand drückt? Der Pflichtethiker sagt: Töten ist immer unethisch, also auch die Unterstützung dabei. Waffenlieferungen sind somit grundsätzlich verboten.

Die Folgenethik dagegen beurteilt nicht die Handlung selber, sondern was man damit bewirkt. Einen Amokläufer zu stoppen, indem man ihn erschiesst, ist in dieser Sichtweise nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten.

Wer hat recht: der Pflicht- oder der Folgenethiker? Jeder dieser Grundsätze kann zu ethisch absurden Urteilen führen. Das macht bei der Pflichtethik das Amokläufer-Beispiel klar: Für Pflichtethiker ist es verboten, den Killer zu erschiessen. Das aber widerspricht unserem intuitiven Moralempfinden.

Aber auch eine strikte Folgenethik kann absurde Entscheidungen hervorbringen. Stellen wir uns einen Chirurgen vor, in dessen Klinik fünf Menschen auf je ein anderes Organ warten: Herz, Niere, Lunge usw. Angenommen, er hätte die Möglichkeit, einen gesunden Menschen, der die Klinik betritt, ungestraft zu töten, um seine Organe zu verwenden. So würde er ein Leben opfern, um fünf zu retten. Ein konsequenter Folgenethiker müsste dies befürworten. Für uns ebenfalls eine absurde Entscheidung.

Zugegeben, die Fälle sind extrem. Und doch machen sie deutlich, dass wir nicht allein auf die Handlungen an sich, aber auch nicht bloss auf die Folgen schauen können. Eine verabsolutierte Pflichtethik ist genauso fundamentalistisch wie eine verabsolutierte Folgenethik.

Es gilt also im konkreten Fall immer abzuwägen: alle ethischen Verpflichtungen, aber auch alle Folgen. Was die Ukraine angeht, scheinen mir Waffenlieferungen ethisch gestattet, ja sogar geboten. Offensichtlich liegt hier ein Fall von Notwehr vor.

Kein Zweifel, wer der Aggressor ist. Kein Zweifel auch, dass er äusserst brutal vorgeht und bereit ist, Tausende von Menschen abzuschlachten. Es ist fraglich, ob die Zahl der Opfer geringer wäre, wenn man Putin die Tore öffnen würde. Man schaue nur, was für Massaker die Russen in den eroberten Gebieten hinterlassen.

Zudem zählen nicht nur die Opfer, sondern auch die Folgen für eine Ukraine unter russischer Herrschaft: Freiheit und Menschenrechte gingen verloren, demokratische Verhältnisse verschwänden, alle Menschen, die kritisch denken, würden gewaltsam unterdrückt, die ukrainische Kultur würde ausgelöscht. Schliesslich deutet alles darauf hin, dass Putin mit Worten und Verhandlungen nicht zu stoppen ist, sondern nur, indem man ihm entschlossen militärisch entgegentritt.

Allerdings müssen wir, wenn wir Waffen liefern, auf beiden Seiten menschliche Opfer möglichst minimieren. Und selbstverständlich dürfen wir aus den Waffenverkäufen nicht auch noch Profit schlagen. Aber das ist ein Thema für einen weiteren Blog.