Letztes Wochenende hat die chilenische Bevölkerung eine neue Verfassung abgelehnt. Sie hätte den Benachteiligten der Gesellschaft endlich mehr Rechte gebracht: den Armen, den Frauen, den Indigenen. In den USA wählen Abermillionen des unteren Mittelstandes Trump. Seine Politik widerspricht ihren Interessen diametral. Eine deutliche Mehrheit der russischen Bevölkerung hält zu Putin. Er isoliert das Land, wirft es wirtschaftlich zurück und schickt es in eine düstere Zukunft.

Überall unterstützen grosse Bevölkerungsgruppen eine Politik, die offenkundig ihre eigenen Ansprüche mit Füssen tritt. Mehrheiten stimmen und wählen gegen ihre ureigensten Interessen. Nur bei uns nicht, denken Sie vielleicht. Hier entscheidet die Mehrheit, was der Mehrheit dient.

Dann lade ich Sie ein, das Buch von Rainer Mausfeld „Das Schweigen der Lämmer“ zu lesen oder seinen Youtube-Beitrag mit demselben Titel anzusehen. Der Sozialwissenschaftler zeigt auf, dass die sogenannten westlichen Demokratien eine Politik betreiben, die in überwiegendem Ausmass einer kleinen Elite von Politikern und Begüterten zudient und den Interessen der grossen Mehrheit zuwiderläuft. Und diese Politik ist über weite Strecken unmenschlich.

Das Verrückte daran: Das alles ist bekannt. Es ist öffentlich dokumentiert und wird von den Exponenten dieser Elite unverhüllt geäussert: in ihren Verlautbarungen, politischen Argumentationen und Leibblättern. Warum sehen wir es nicht? Warum schweigen die Lämmer?

Mausfeld zeigt die Techniken auf, mit denen wir verwirrt, manipuliert und ins Boot geholt werden. Diese „Strategien des Meinungs- und Empörungsmanagements“, wie Mausfeld sie nennt, schaffen eine Zuschauerdemokratie, die uns apathisch und unbeteiligt macht. Eine Flut von Informationen erzeugt den Eindruck von Informiertheit und schürt gleichzeitig Angst vor bösen Kräften. Botschaften werden wiederholt, auch wenn sie falsch sind. Fakten werden als Meinungen deklariert. Die Informationen dekontextualisiert und wieder rekontextualisiert.

Dazu nur zwei Beispiele aus den vielen, die Mausfeld zitiert: Haben Sie gewusst, dass die USA seit dem 2. Weltkrieg zwischen 10 und 15 Millionen Zivilisten getötet haben, fast zweimal die Bevölkerungszahl der Schweiz. Die einzelnen Aktionen, etwa in Afghanistan oder dem Nahen Osten, gelangen durchaus in die Medien. Aber da werden sie als Einzelfälle dargestellt, als notwendige Aktionen gegen den Terrorismus. Also dekontextualisiert und neu rekontextualisiert.

Oder ist Ihnen bewusst, dass in der Schweiz gewisse Manager, auch wenn sie einen schlechten Job machen, rund 500 Mal so viel verdienen wie einige ihrer Mitarbeiterinnen? Oder dass das reichste Prozent der Schweizer fast die Hälfte des Vermögens besitzt? Die restlichen 99% teilen sich die andere. All das ist aktenkundig. Wer es wissen will, findet es in öffentlichen Quellen. Das Fazit von Mausfelds Analyse: Wir erliegen in den westlichen Staaten der Illusion einer Demokratie, während wir in Wahrheit fast nichts zu sagen haben. Wir sind eine Art verständnisloser Zuschauer eines wirtschaftlich-politischen Mechanismus, der tatsächlich den Interessen einer kleinen Kaste von Mächtigen und Besitzenden zudient.