Woran orientieren Sie sich im beruflichen Alltag? Am Erfolg des Unternehmens oder den Bedürfnissen der Gesellschaft? Egoismus oder Verantwortung fürs Gemeinwohl?

Das läuft aufs selbe hinaus, meint Adam Smith (1723-90), der schottische Begründer der Nationalökonomie, der übrigens auch ein formidabler Philosoph war. Indem jeder Marktteilnehmer in seinem ureigensten Interesse handelt, leistet er zugleich den grössten Beitrag zum Wohl aller. Dafür sorgt eine unsichtbare Hand, automatisch und unfehlbar.

Doch wessen Hand ist da im Spiel? Wer verwandelt den kalten Egoismus in Edelmut? Der liebe Gott, big Brother, eine geheime Bruderschaft? Keineswegs. Die kühle Logik des freien Marktes reicht vollauf. Sie wollen etwas verkaufen? Dann muss Ihr Produkt möglichst hochwertig und preisgünstig sein. Sie wollen Aufträge? Dann müssen Sie etwas bieten. Die Konkurrenz auf dem Markt zwingt die Anbieter dazu, möglichst gut und möglichst billig zu sein. Sonst haben sie das Nachsehen. Indem die Anbieter ihr eigenes Interesse verfolgen – nämlich zu verkaufen –, dienen sie dem Interesse der Kunden. Und damit der Gemeinschaft. Das ist der Quell des „Wohlstands der Nationen“, wie der Titel von Smiths Wälzer lautet.

Ein Jahrhundertsatz fürwahr, der ein Jahrtausendprinzip auf den Punkt bringt: das Gesetz des freien Austausches aller Güter auf dem Markt, das uns tatsächlich einen unermesslichen Wohlstand beschert hat.

Nur, ist der Satz auch wahr? Führt der maximale Eigennutz auch zum maximalen Wohl aller?  Sie wissen selbstverständlich, dass dem nicht so ist. Dass der schrankenlose Marktliberalismus uns keineswegs ins Paradies geführt hat. Ja, dass er auch schreiende Ungerechtigkeiten und Heerscharen von Benachteiligten hinterlässt.

Wo liegt der Haken? Es gibt mehrere. Zum einen gibt es Güter, die sich schlecht verkaufen lassen, die aber gleichwohl von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft sind. Eine allgemeine Bildung zum Beispiel, die Gesundheit der Bevölkerung oder die Versorgung mit seriösen Informationen. Sie würden korrumpiert, wenn man sie allein dem Markt überliesse. Gefahr droht auch, wenn „Werte“ angepriesen werden, die keine sind: Drogen, Glücksspiele, betrügerische Produkte. Auch da muss die Gesellschaft in den freien Markt eingreifen. Und schliesslich muss sie dafür sorgen, dass einzelne Anbieter nicht den Markt monopolisieren und damit genau das zunichtemachen, was wir der unsichtbaren Hand verdanken: den steigenden Wohlstand für die Allgemeinheit.

Egoismus allein reicht nicht.
Es braucht Verantwortung
und einen Sinn für Gerechtigkeit.

Kurzum, so bestechend Smiths Marktlogik auch daherkommt, so sehr sie unseren materiellen Fortschritt antreibt: Egoismus allein reicht nicht. Es braucht eine umfassendere Vernunft als die des Eigennutzes, es braucht Verantwortung und einen Sinn für Gerechtigkeit. Oder konkret und politisch: einen Rahmen, um die grenzenlose Freiheit der Marktteilnehmer zum Wohl der Allgemeinheit zu zähmen. Nur dann kann die unsichtbare Hand uns ins Reich stets wachsenden Wohlstands führen.

Auch Sie fragen sich vielleicht gelegentlich: Leiste ich tatsächlich einen Beitrag zum allgemeinen Wohl? Solange Sie bedenkenlos ja sagen können, folgen Sie getrost ihrem geschäftlichen Interesse. Im umgekehrten Fall aber sollten Sie über Ihre beruflichen Bücher gehen.  

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