Wer Menschen führt, hat seinen „schwierigen“ Mitarbeiter. Wenn Sie Leader sind, gibt es mit Sicherheit jemand, der Ihnen immer wieder Schwierigkeiten bereitet. Er nervt Sie, legt Ihnen mit schöner Regelmässigkeit Steine in den Weg. Wie er Sie plagt, ist egal: Er bringt seine Leistung nicht, kritisiert Sie permanent oder verbreitet eine schlechte Stimmung. Wie gehen Sie mit ihm um? Eine Antwort liefert der spätantike Philosoph Aurelius Augustinus (354-430): Dilige et quod vis fac, Liebe – und tue, was du willst.

Was für eine Zumutung! Sie sollen Ihre Querschlägerin nur liebhaben, dann löst dich das Problem von selbst? Das kennen wir doch, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. So spricht ein eingefleischter Christ, ein Gutmensch, wie er im Buch steht: der heilige Augustinus, Bischof und intellektueller Wegbereiter des dunklen Mittelalters. Und dann verlangt er erst noch, was Ihnen zutiefst widerstrebt: Ihren berechtigten Ärger herunterzuschlucken und positive Gefühle für die Nervensäge zu entwickeln.

Allerdings sagt Augustinus nicht „ama!“, sondern „dilige!“. Das Lateinische kennt zwei Verben für „lieben“. „Amare“ heisst lieben im erotischen Sinn. Da spielt das Sinnliche, Leidenschaftliche, Körperliche immer ein wenig mit, das Begehren. „Diligere“ dagegen bedeutet Lieben im Sinn von Wertschätzen.

Das macht den Unterschied: Wenn ich einen Menschen wertschätze, will ich das Beste auch für ihn. In dieser Lesart gewinnt der Satz „Liebe – und tue, was du willst“ erst seinen Sinn: Wenn du den andern Menschen liebend wertschätzt, wenn du immer noch ein Stück Sympathie ihm gegenüber empfindest, dann behandelst du ihn automatisch so, wie du solltest. Und jetzt zeigt sich auch, was Augustinus von andern Philosophen unterscheidet.

Lässt Ihr Ärger gegen den schwierigen
Mitarbeiter immer noch ein Stück
emotionales Wohlwollen zu?

Sie antworten auf ethische Fragen mit Argumenten. Von Kants kategorischem Imperativ bis zur modernen Diskursethik leidet die philosophische Moraldebatte unter einer Kopflastigkeit. Die Ethiker verlangen Überlegungen, fordern Argumente, verweisen auf Reflexion oder aufs diskursive Gespräch. Darin liegt die die Gefahr, auf Teufel komm raus nach Argumenten zu suchen, bis man jede schräge Position rechtfertigen kann. Nicht selten wird argumentative Ethik so zur Rabulistik.

Demgegenüber fordert Augustinus etwas ganz Simples: Schau einfach auf dein Gefühl! Frage dich: Empfindest du diesem Menschen gegenüber Wertschätzung? Dann weisst du, was du zu tun hast. Fehlt sie aber, liegst du ethisch ohnehin falsch. Auf deine gefühlsmässige Haltung kommt es an – und wenn sie stimmt, kannst du dich getrost von deiner Intuition leiten lassen.

Was hilft das beim „schwierigen“ Mitarbeiter? – Der augustinische Satz empfiehlt Ihnen zu prüfen, ob Sie ihn wertschätzen können, trotz allem Groll? Lässt Ihr Ärger immer noch ein Stück emotionales Wohlwollen zu? Oder beherrscht er Sie vollständig? Im einen Fall müssen Sie bei sich über die Bücher: Was hat die Wut mit Ihnen selber zu tun? Im andern hingegen werden Sie angemessen reagieren – selbst wenn Sie ihn in die Schranken weisen. Gewiss, Augustinus macht Ihnen das Leben damit nicht leichter und auch nicht Ihre Führungsaufgabe. Seine Maxime macht Sie als Führungskraft verletzlicher – dafür aber menschlicher.

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