„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, klagte Blaise Pascal schon im 17. Jahrhundert. In seinen „Pensées“, einer Sammlung von Gedanken, niedergeschrieben auf rund tausend Zetteln, las der Mathematiker und Philosoph seinen Zeitgenossen die Leviten. Sie gehen auf die Jagd, vergnügen sich am Hof mit Tänzen und inhaltslosem Geplauder, unternehmen militärische Streifzüge. Und all dies, „Belustigung und Zeitvertreib“, hat keinen andern Zweck, „als die Zeit vergehen zu lassen, ohne sie zu fühlen, oder vielmehr ohne sich selbst zu fühlen.»

Kommt Ihnen die Diagnose des barocken Autors bekannt vor? „Vertreiben“ wir nicht auch beständig die Zeit – eigentlich unser wertvollstes Gut? „Zerstreuen“ wir uns nicht auch dauernd – statt uns zu besinnen? Weichen wir nicht auch gerne den Situationen aus, in denen wir „uns selbst fühlen“ müssten? Nur dass unsere „divertissements“ nicht mehr höfische Konversation und Jagd heissen, sondern Facebook, iPhone, Videogames oder Fernsehen.

Halten Sie es mit sich selber aus?

Warum nur diese „beständige Unruhe“? fragt Pascal weiter und antwortet: „Das hat eine sehr wahre Ursache, nämlich das natürliche Unglück unsers Zustandes, der schwach und sterblich ist und so elend, dass nichts uns trösten kann, wenn nichts uns hindert daran zu denken und wir nichts sehen als uns.“ Darum, meint der barocke Denker, gibt es nur eine Lösung, nämlich den christlichen Glauben und damit „die Hoffnung auf ein anderes Leben, das uns ganz davon befreien soll“.

Im 21. Jahrhundert leuchten Pascals Erklärung für die menschliche Unruhe und sein Therapievorschlag wohl nur noch wenigen ein, seine Beobachtung hingegen ist brandaktuell. Corona hat uns dabei nur vor Augen geführt, woran unser Leben schon vor der Pandemie krankte und was uns auch nach ihr nicht leicht fallen wird: ruhig und allein in einem Zimmer zu bleiben. Sie haben schon gemerkt, das ist nur eine Metapher. Sie steht für die Fähigkeit, es mit sich selber auszuhalten. Ein Kriterium dafür, ob Sie mit sich im Reinen sind.

Gut möglich, dass Sie sagen: Was für ein Luxusproblem! Ich brauche keine Zerstreuung. Ich habe mehr als genug zu tun: meinen Job vom Homeoffice aus managen, die Kinder beim Homeschooling unterstützen und auch noch alles andere übers Internet organisieren, was vorher offline viel unkomplizierter funktionierte. Corona strapaziert meine ohnehin übervolle Agenda nur noch ein bisschen mehr. – Doch vielleicht ist gerade diese Agenda das Problem. Vielleicht ist das Ihr Weg, es nicht mit sich selber aushalten zu müssen.

Gewiss, Arbeit ist Sinn. Der Mensch ist ein tätiges Wesen. Genuss allein reicht für ein erfülltes Dasein nicht aus. Wir alle brauchen Aufgaben. Die Gefahr liegt darin, dass auch sie uns „zerstreuen“, uns davon abhalten können, „mit uns allein in einem Zimmer zu sein“. Das heisst: uns auf uns selbst zu besinnen. Was wir dann zu prüfen hätten, wäre die Frage, ob unser Leben in der Balance ist zwischen lust- und sinnvoller Aktivität einerseits und einem gelassenen Geniessen-Können andererseits.

Oder konkreter, auf Sie bezogen:

1. Vertreiben Sie die Zeit oder gestalten Sie sie?
2. Halten Sie es mit sich selber aus, auch wenn Sie nicht auf Achse sind?
3. Können Sie beides: lustvoll arbeiten und ruhig geniessen?

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