Francis Bacons Satz „Knowledge ist power“ leuchtet unmittelbar ein. Denken Sie an Google oder Facebook. Wer meine Surf- und Kaufgewohnheiten kennt, meine Vorlieben und mein Like-Verhalten, hat mich ein Stück weit in der Hand. Francis Bacon (1561-1626) allerdings ging es gar nicht um das Wissen und die Macht über Menschen, sondern über die Natur. Wer die Natur beherrschen will, muss ihre Gesetze kennen. Bacon steht an dem geschichtlichen Punkt, an dem die Naturwissenschaften ihren Siegeszug beginnen, ja er gilt als ihr philosophischer Vordenker. Zwar kommt der Satz „Knowledge is power“ so bei Bacon gar nicht vor, doch man müsste seinem Hauptwerk „Die grosse Erneuerung der Wissenschaften“ eigentlich den Titel „Wissen ist Macht“ geben.
Heute führt uns der Kampf um persönliche Daten die Macht des Wissens über Menschen vor Augen. Unsere Sensibilität in diesem Feld signalisiert, dass diese Macht ethisch brisant ist. Sie bedeutet nämlich, dieses Wissen über andere für eigene Interessen nutzen zu können. Was gibt den einen das Recht dazu, andern kraft ihres Wissens ein Stück Freiheit zu nehmen? Natürlich ist nicht jede Macht schon des Teufels, wohl aber legitimationspflichtig.
Das betrifft namentlich Führungskräfte, deren Macht ja nicht nur auf der Weisungsbefugnis des Organigramms beruht. Wer formal Menschen führt, verfügt meist über ein Wissen, das ihm Macht über sie in die Hände legt. Er kennt einen Teil ihrer privaten Angelegenheiten und was über sie im Dossier zusammengetragen ist.
Wem die Umstände Macht
zuspielen, muss fragen, welche
Verantwortung er damit trägt.
Häufig besitzt er auch Informationen von oben, die er nicht an Mitarbeitende weitergeben will oder darf, Pläne der Vorgesetzten, strategische Absichten, Kenntnis von vorgesehenen personellen Massnahmen. Es liegt auf der Hand, dass dergleichen Informationen eine grosse Macht bedeuten können: Sie betreffen ja die berufliche Zukunft der Mitarbeitenden.
Verantwortungsvoll damit umzugehen, bedeutet für eine Führungskraft, die Legitimität ihrer eigenen Macht zu überprüfen. Teile ich mein Wissen mit meinen Mitarbeitenden und nivelliere damit meine Macht? Oder behalte ich es für mich und baue sie aus? Ein Beispiel: Die Geschäftsleitung beschliesst eine Umstrukturierung, bei der auch Mitarbeitende den Job verlieren könnten, kommuniziert dies nur im Kader und verlangt von ihm Stillschweigen.
Dieses Wissen verschafft den Vorgesetzen Macht über die Mitarbeitenden, die freilich auch eine Belastung bedeuten kann. Den Gewissenskonflikt kann eine Führungskraft nur lösen, wenn sie nach ihrer Verantwortung fragt. Diese betrifft nämlich nicht nur die Firma als ganze, die Schaden nehmen kann, wenn ein Teil der Belegschaft sich ausklinkt oder abspringt. Verantwortung hat der Vorgesetzte auch gegenüber den Menschen, die in einem Jahr vielleicht ohne Stelle dastehen werden.
Macht und Verantwortung gehören zusammen. Wem die Umstände Macht zuspielen, muss fragen, welche Verantwortung er damit trägt. Und er hat die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten gegeneinander abzuwägen. Vielleicht gebietet es das Interesse der ganzen Firma, also das aller Mitarbeitenden, zu schweigen. In manchen Fällen wäre es aber auch fairer, den Menschen reinen Wein über ihre eigene Zukunft einzuschenken.