
Regen Sie sich darüber auf, dass Lügen in der Politik immer alltäglicher werden? Dass es salonfähig geworden ist, Behauptungen in die Welt zu setzen, die ganz offensichtlich falsch sind? Hitler sei ein Kommunist gewesen, meint die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. In Springfield würden die Immigranten Hunde und Katzen jagen, um sie zu essen, behauptet der amerikanische Präsident.
Folgt man Harry G. Frankfurt (1929-2023), steht es schlimmer: Es geht nicht um Lüge, sondern um Bullshit. Sein Essay «On Bullshit», geschrieben 1986, beginnt mit dem Satz: «Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt.» Schon vor 40 Jahren also hat der amerikanische Philosoph das Anwachsen von Bullshit festgestellt, der heute die Welt überschwemmt. Nicht nur in Werbung und Talkshows, sondern immer mehr auch in der Politik.
Doch sind Lüge und Bullshit nicht dasselbe? In seiner Analyse streicht Frankfurt den Unterschied heraus: das Verhältnis des Sprechenden zur Wahrheit. Der Lügner weiss nämlich, was wahr ist. Darüber will er sein Gegenüber gerade täuschen. Lügen setzt einen Bezug zur Wahrheit voraus – wenngleich einen gestörten.
Der Bullshitter dagegen ist an der Wahrheit gar nicht interessiert. Er kümmert sich schlicht nicht um sie. Er schwadroniert, ohne sich darum zu scheren, ob das, was er sagt, wahr oder falsch ist.
Der Lügner muss die Wahrheit beachten, damit er sie verbergen kann. Das setzt ihm Grenzen, schränkt ihn ein. Darum ist Lügen anspruchsvoll. Bullshitten kann jeder. Die Welt ist voll von solchem Geschwafel, im Fernsehen zum Beispiel oder in den sozialen Medien.
Gefährlich indessen wird Bullshit in der Politik, jedenfalls wenn er den öffentlichen Diskurs beherrscht, wenn er überhandnimmt. Dann nämlich höhlt er die Wahrheit aus. Wenn es keine Rolle spielt, was wahr und was falsch ist, verschwindet die Idee einer objektiven Wirklichkeit. Diesen Unterschied zwischen Tatsache und Fake will der Bullshitter eliminieren. Da zeigt sich sein Motiv: Es geht ihm nicht darum, was die Leute über die Welt denken, sondern was sie über ihn denken. Dem Bullshitter geht es nur um sich selber.
Doch bullshitten Weidel und Trump überhaupt? Oder lügen Sie bloss? Es mag nicht immer leicht sein, dies zu unterscheiden. Doch es gibt ein Kriterium: Wo eine unwahre Behauptung denkende Menschen in die Irre führen kann, ist sie gelogen. Wo ihre Falschheit hingegen für jedermann offenkundig ist, liegt Bullshit vor. Bei Weidel und Trump ist das klar. Bei letzterem sogar Methode.
Bullshit untergräbt unser Verhältnis zur Wahrheit.
Wir sind der Lüge gegenüber viel weniger tolerant als gegenüber dem Bullshit. Das ist paradox. Denn er untergräbt unser Verhältnis zur Wahrheit und befördert die Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Darum ist er brandgefährlich.
Doch was können Sie tun? Wie immer fängt der eigene Beitrag im persönlichen Umfeld an. Drei Tipps dazu. Erstens, reden Sie sie selber keinen Bullshit. Seien Sie behutsam bei allem, was sie sagen. Schreiten Sie zweitens gegen Bullshit ein, wenn er Ihnen begegnet. Das muss nicht rabiat geschehen. Oft stoppt schon simples Rückfragen das Palaver. Und drittens: Verschwenden Sie keine Energie, um sich über den politischen Bullshitter aufzuregen. Fragen Sie einfach: Wie will er mit seinem Bullshit gesehen werden? Was verrät seine Maske?