Sind Sie ein guter Mensch? Gemeint ist nicht ein „Gutmensch“ oder ein frömmlerischer Moralprediger. Vielmehr geht es um die Frage, ob Sie sich von ethischen Gesichtspunkten – von der Menschlichkeit – leiten lassen. Doch warum sollten Sie das?

Die US-Philosophin Christine Korsgaard (*1952) antwortet schlicht und einfach: weil Sie nur dann eine Person sind. „A good person ist someone who is good at being a person“. Ethisch handeln heisst sich als Person realisieren. Und umgekehrt: Wer ethisch versagt, versagt schon als Person.

Nur, gibt es nicht skrupellose Personen allenthalben? Rücksichtslose Autokraten oder Mafiabosse zum Beispiel. Korsgaard behauptet: Solche Menschen sind gar keine Personen. In ihrem Buch „Self-Constitution. Agency, Identity, and Integrity“ zeigt sie auf, wie Handeln und Person-Sein zusammenhängen. Dabei formuliert sie kein Moralgebot, sondern analysiert lediglich, was menschliches Handeln genau bedeutet, dessen zentrale Momente schon im Titel anklingen.

Zunächst sind wir, was wir sind („identity“), durch unsere Handlungen. Vielleicht beten Sie in einer Vorstellungsrunde Namen, Alter, Werdegang, berufliche Tätigkeit, Wohnort und dergleichen herunter. Doch was wissen die andern damit wirklich von Ihnen? Der Kern Ihrer Identität ist davon kaum berührt. Nein, Sie sind das geworden, was Sie aus sich gemacht haben. Auch wenn Zufälle und Schicksale Ihre Biografie beeinflussen, Sie entscheiden doch, wie Sie damit umgehen. Was Sie sind, ergibt sich aus den Abertausenden von Entscheidungen, die Sie in Ihrem Leben getroffen haben. Sie formen, entwickeln, definieren sich selbst durch Ihr Handeln („self-constitution“).

Handeln aber heisst, die Gründe für sein Tun selber wählen. Wer von einer Sucht beherrscht wird, tut dies nicht wirklich. Genauso wenig die von einer Gier nach Geld oder Macht Getriebenen wie der Autokrat und der Mafiaboss. Sie handeln gar nicht im vollgültigen Sinn: Sie wählen ihre Gründe nicht. Diese sind immer schon gesetzt, unhinterfragt, ohne Prüfung und Abwägung. Korsgaard spricht solchen Menschen ab, was menschliches Tun erst zu Handlungen macht: die Handlungsfähigkeit („agency“).

Identität und Ethik sind untrennbar verbunden.

Diese besteht darin, dass wir uns im Widerstreit der Motive und Gründe zusammenraufen können, dass wir abwägen und entscheiden können. Diese Entscheidung treffen wir, nicht irgendein einzelnes Motiv, ein Trieb, eine Angst, eine übermächtige Emotion. Geschieht Letzteres, verlieren wir unsere Integrität: unsere Unversehrtheit („integrity“). Dann spüren wir den Verlust als quälende Scham oder Schuld.

Wo es uns hingegen gelingt zu tun, was wir uns selbst schulden, sagen wir: Ich musste dies tun. Ich konnte nicht anders, als ihr helfen. Ich musste mich einfach wehren. Natürlich ist dieses Müssen keine logische Notwendigkeit, sondern eine praktische: Hätte ich anders gehandelt, wäre meine Identität beschädigt worden. Handeln und Moral, Identität und Ethik sind untrennbar verbunden. Darum – und nicht weil irgendjemand uns das vorschreibt – sind wir notwendigerweise aufgerufen, „to make something of ourselves“. Und „something“ kann nur heissen: ein menschliches Wesen. Von der Menschlichkeit und ihrer Theorie, der Ethik, handelt mein neues Buch.

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