Die grossen Fragen des Lebens sind meist Gretchenfragen: Sie kommen naiv daher, doch aus dem Stegreif eine Antwort zu geben, fällt uns schwer. Zum Beispiel die Frage: Wer bin ich eigentlich? Darauf «Nicole Meier» oder «Patrick Müller» zu sagen, reicht nicht, das spüren Sie. Einer der bedeutendsten Philosophen, Immanuel Kant (1724-1804), weist einen Weg zur Antwort, wenn er feststellt, die Philosophie lasse sich auf vier Fragen bringen:

«Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?

Was ist der Mensch?»

Dabei würden, so ergänzt Kant, die ersten drei eine Antwort auf die vierte liefern.

Des Menschen Einzigartigkeit im Kosmos besteht erstens in seiner Erkenntnisfähigkeit. Er kann sich in ein Verhältnis zur äusseren Wirklichkeit und zu sich selber setzen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie er selber tickt.

Nehmen Sie die drei Fragen
in Ihrem Reisegepäck
mit in die Ferien.

Zweitens ist er als soziales Wesen auf andere bezogen und ihnen darum in seinem Handeln verpflichtet. Die Natur kennt keine Ethik, nur der Mensch kann begreifen, dass er Verantwortung trägt – auch wenn er sie oft mit Füssen tritt.

Und schliesslich kann sich der Mensch zu etwas bekennen, was über sein beschränktes physisches Dasein hinausreicht, was ihn verbindet mit dem Ganzen: etwas Spirituelles oder Religiöses.

Wie wir zu diesen drei existenziellen Dimensionen stehen, wie wir auf diese drei Fragen antworten, das macht unsere Identität aus. Damit definieren wir uns selbst. Wir sind unsere Antworten.

Warum ist das für Sie als Leader wichtig? – Menschen, die andere führen, ihnen vielleicht ein Vorbild sind, verdanken dieses Privileg nicht zuletzt der Bereitschaft, das Leben nicht einfach auf sich zukommen zu lassen, sondern in einem bewussten Verhältnis zu ihm zu stehen. Der Bereitschaft, über die wesentlichen Lebensfragen nachzudenken. Darum kennen sie ihre eigenen Antworten und richten danach ihr Dasein aus. Leader kennen sich selbst.

Diese Reflexion findet nicht bloss einmal im Leben statt, sondern immer wieder: Im Lauf seiner Biografie entwickelt sich ein Mensch – hoffentlich! – weiter. Er wächst und reift und differenziert seine geistige Welt aus. Wann haben Sie zum letzten Mal über eine der drei Fragen wirklich nachgedacht? Ich meine nicht, eine Assoziation darüber zugelassen, sondern wirklich nachgedacht.

Kants Fragen sind eine typische eisenhowersche B-Aufgabe: nicht dringend, aber wichtig. Solche Aufgaben verlangen Musse, aber man darf sie auch nicht auf die lange Bank schieben.

Darum mein Vorschlag für die kommenden Sommerwochen: Nehmen Sie die drei Fragen in Ihrem Reisegepäck mit in die Ferien.

1. Was weiss ich eigentlich ganz sicher? Auf welche Gewissheit stütze ich mein tägliches Handeln? Und welche vermeintliche „Gewissheit“ ist nicht über alle Zweifel erhaben?

2. Was ist mein grundlegender ethischer Kompass? Woran orientiere ich mich, wenn es darum geht, verantwortungsbewusst zu entscheiden?   

3. Woran glaube ich? Gibt es für mich eine spirituelle Überzeugung, die so tragend ist, dass sie in meiner Lebensführung wirksam wird? – Und kehren Sie mit drei Antworten aus dem Urlaub zurück, die in Ihrem Herzen verankert sind.

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