„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Karl Marx (1818-83) denkt radikal praktisch. Darum geht er mit seinen Kollegen hart ins Gericht: Philosophen reden gerne über Gott und die Welt – und damit manchmal an den Problemen vorbei. Der Satz gilt aber ebenso für Politiker. Was für endlose Palaver in den Parlamenten! Was für schöne Sonntagsreden vor den Wahlen! Was für schwammige Verlautbarungen, wo Verantwortungsträger Stellung beziehen müssten! Und er gilt in der Berufswelt. Kennen Sie das nicht: die mühseligen Endlossitzungen und die Glaubensbekenntnisse im neudeutschen Business-Jargon?

Als ob man mit sich selber Schach spielen könnte! Der Witz ist doch, dass keiner weiss, wie der andere auf den nächsten Zug reagieren wird. Ein Gespräch macht nur Sinn, wenn ich die Antwort nicht schon kenne, wenn jeder den andern überraschen und sich von ihm überraschen lassen kann.

Als Philosoph muss ich allerdings die Ehre meiner Berufskollegen retten. Wir verdanken ihnen Errungenschaften von grossem Wert. Zum Beispiel: Die Konzeption von Menschen- und Bürgerrechten, die Trennung von legislativer, exekutiver und judikativer Macht, das Recht aller zu stimmen und zu wählen, all das und vieles mehr haben die politischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts gefordert. Thomas Hobbes, John Locke, David Hume, Immanuel Kant, Jean-Jacques Rousseau und andere haben diese Ideen entwickelt und zum ersten Mal formuliert – und standen damit als weltfremde Idealisten quer in der Landschaft.

Auch Worte können Taten sein. Auch sie verändern die Welt – manchmal gewaltig. Es geht also nicht darum, zu handeln, statt zu reden. Es geht darum, etwas zu bewegen, egal ob mit Worten oder Taten. Die Frage ist also: Wann ist genug geredet und nachgedacht? Wann muss man handeln?

Ich will nicht theoretisch antworten, sondern praktisch. Beispiel eins: Me Too. Zu welchen monströsen sexuellen Ausbeutungssystemen reiche, mächtige Männer fähig sind, haben sich viele kaum vorstellen können. Darum mussten die Frauen handeln. Darum war die Bewegung nötig. Und sie hat die Welt verändert: Prominente wurden vom Sockel gestossen, wir alle sind hellhörig geworden. Frauen sind aufgefordert, Übergriffe öffentlich zu machen, und Männer einzuschreiten, wo der Verdacht auf Missbrauch vorliegt.

Beispiel zwei: Der Klimakollaps droht. Da hilft keine Pflästerchenpolitik mehr, kein weiteres Lavieren um Kompromisse, kein Feilschen um partikulare Interessen, die denen der Menschheit entgegenstehen. Das Fass ist am Überlaufen, Hinhaltepolitik verboten. Das haben die Jungen begriffen. Dass sie es ernst meinen, verrät ihre Sprache, die der Slogans und die der Aktionen. Diese jungen Menschen haben etwas zu bewegen begonnen. Ob der Anstoss reicht, um die Mehrheit mitzureissen, wird sich zeigen.

Denken muss Folgen haben
in meinem Handeln, ob mit
Worten oder Taten.

Die Welt zu verändern, heisst also nicht, aufs Philosophieren zu verzichten: aufs kritische Nachdenken. Aber dieses muss in Taten münden. Denken muss Folgen haben in meinem Handeln, ob mit Worten oder Taten. Was heisst das für Sie, einen Leader, eine Verantwortungsträgerin?

Schreiten Sie ein, wo die Leute um Sie einen falschen Weg einschlagen. Wagen Sie ein klares und mutiges Wort. Denn Schweigen heisst meist stumme Billigung. Und da, wo leeres Stroh gedroschen wird, fragen Sie die Schwadronierer unverblümt: Was bedeutet das konkret? Und was tust du selber, um deine Worte in die Tat umzusetzen?

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