Kennen Sie die Kornkreise? Jene komplexen und ästhetisch gefälligen Figuren, die ausserirdische Besucher in den Feldern hinterlassen haben? Oder waren es irdische Scharlatane, die uns mit ihren nächtlichen Streichen narren? Die Erklärung der rätselhaften Phänomene durch Aliens würde auf jeden Fall dem Rasiermesser eines mittelalterlichen Philosophen zum Opfer fallen.

Der Mönch Wilhelm von Ockham (1288-1347) vertrat ein Prinzip, das ihn beinahe den Kopf gekostet hätte: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem“. Sinngemäss heisst das: Man sollte nicht mehr Annahmen machen als nötig. Beschränke deine Hypothesen und Begriffe auf ein Minimum, wenn du etwas erklären willst. Dem entspricht die Nachtbuben-Hypothese, die der Aliens weniger. In diesem Fall muss man voraussetzen, dass es Ausserirdische gibt, dass sie uns eine Botschaft übermitteln wollen und dann ungesehen wieder verschwinden. Eine ziemlich abenteuerliche Erklärung.

Kein Wunder, dass sich Ockham mit seinem Grundsatz fast einen Ketzerprozess auf den Hals lud in einer Zeit der haarsträubenden Erklärungen: Hexen verbünden sich mit dem Teufel und verursachen Seuchen und Unwetter. Sonne und Gestirne drehen sich um die Erde und vollziehen dabei komplizierte, spiralartige Bewegungen, sogenannte Epizyklen. Statt einfach anzunehmen, dass wir selbst uns drehen.

so einfach wie möglich, aber
differenziert genug für die
Komplexität der Welt.

Doch Ockhams Rasiermesser, das man auch das Prinzip der Sparsamkeit nennt, empfiehlt sich nicht nur im Mittelalter. Es hilft auch heute, im Alltag: Der chronisch verspätete Mitarbeiter begründet sein Zu-spät-Kommen damit, dass zuerst der Wecker nicht geläutet und dann auch noch das Auto gestreikt habe. Die simple Begründung: Er ist ein Schlawiner.

Kurz, warum denn eine einfache Erklärung, wenn eine komplizierte auch reicht? Das meinen wir ironisch und billigen damit implizit Ockhams Prinzip: Sei so einfach und plausibel wie möglich.

Allerdings empfiehlt es sich, mit Messern vorsichtig umzugehen. Darum gehört eine Warnung zu „Occam’s razor“. Man kann auch zu simpel argumentieren. Das tut etwa eine Schweizer Partei, wenn sie als Mittel gegen den Klimawandel die striktere Begrenzung der Flüchtlingszahlen empfiehlt. Oder der US-Präsident, der mit einer Mauer den ökonomischen Niedergang des amerikanischen Mittelstands verhindern will.

Sie kennen dergleichen: Oft sind die Erklärungen zu banal. Sie werden der Komplexität der Sache nicht gerecht. Sie zeigen nur einen Teil des Problems auf oder unterstellen zusätzliche unbewiesene Hypothesen.

Erklärungen müssen also nicht nur so einfach wie möglich sein, sondern auch differenziert genug, um die Komplexität der Welt zu erfassen. Das Messer hilft – aber auch die Vorsicht vor seinem exzessiven Gebrauch. Der Jahrhundertsatz nützt – aber auch die Warnung in der Packungsbeilage. Er ist in der Welt des Aberglaubens angezeigt, sie tut in erster Linie in politischen Diskussionen not.

Als Leader sind Sie fortwährend mit Theorien konfrontiert. Prüfen Sie diese, indem Sie zwei Fragen stellen: Ist die Erklärung einfach genug, um plausibel zu sein? Und ist sie differenziert genug, um den Fakten gerecht zu werden?

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