In manchen Köpfen geistern eigenartige Vorstellungen von Freiheit herum: sich finanziell alles leisten zu können, wonach einem der Sinn steht. In den sozialen Medien seine „Meinung“ ungefiltert in die Welt hinauszuposaunen. Mit 170 Sachen über die Autobahn zu blochen.

Doch Freiheit heisst nicht einfach, dass ich tun kann, was ich will. Das wäre bloss Handlungsfreiheit; und die ist ohnehin stets eingeschränkt, durch Naturgesetze und gesellschaftliche Normen. Worauf es hingegen ankommt, ist die Willensfreiheit. Sie geht tiefer, bis in den Kern meiner Person: Bin ich souverän, autonom? Handle ich aus freiem Willen?

Peter Bieri, der Schweizer Philosoph, erklärt den Unterschied in seinem Buch „Das Handwerk der Freiheit“ am Beispiel zweier Menschen: dem Süchtigen wider Willen und dem, der seine Sucht überwindet. Ob es dabei um Zigaretten, Schokolade oder die Droge des Erfolgs geht, spielt keine Rolle.

Im Innern beider Menschen streiten zwei Wünsche miteinander: der nach der Droge und der, von ihr freizukommen. Beide Akteure sind handlungsfrei. Sie können tun, was sie wollen: nach dem Rauschmittel greifen – oder es lassen. Der Unterschied hingegen liegt auf der Ebene des Willens. Wir Menschen können nämlich nicht nur etwas wünschen – das können auch Tiere –, sondern wir können darüber hinaus auch unsere Wünsche wünschen. Wir können Wünsche zweiter Ordnung entwickeln. Willensfreiheit bedeutet, uns für denjenigen Wunsch zu entscheiden, den wir wollen.

Der Süchtige erliegt dem Wunsch, den er eigentlich nicht will, er greift zur Zigarette: „wider Willen“ eben. Der Sieger über die Sucht hingegen vermag demjenigen Wunsch zum Durchbruch zu verhelfen, den er eigentlich will: frei zu werden von der Sucht. Er folgt seinem freien Willen.

Natürlich liegt in diesem „eigentlich“ die Pointe. Es bezeichnet das, wofür wir gute Gründe haben. Also unsere Einsicht, unsere Überzeugung. Wenn sie – und nicht irgendein Gefühl, ein Begehren oder ein Trieb – bestimmt, was wir tun, dann handeln wir aus freiem Willen. Das kennen Sie aus eigener Erfahrung. Wenn Sie tun, was Sie richtig finden, haben Sie auch das Gefühl, aus freien Stücken zu handeln. Ein gutes Gefühl. Und vielleicht kennen Sie auch das Gegenteil: die schale Empfindung, wenn Sie einem Antrieb nachgegeben haben, den Sie eigentlich missbilligen.

Es gibt keine bedingungslose Handlung. Ein Motiv liegt immer vor. Es ist die Bedingung für die Handlung. Frei ist diese, wenn sie von den richtigen Bedingungen abhängt: den besten Gründen des Handelnden. Unfrei dagegen, wenn äussere Zwänge oder negative innere Antriebe den Ausschlag geben. So betrachtet sind wir in bestimmten Situationen frei, in anderen wiederum unfrei.

Freies Handeln ist von Ihren besten Gründen bestimmt.

Doch wir können im Verlauf unseres Lebens freier werden, indem wir das Handwerk der Freiheit betreiben. Worin besteht es? Wie können Sie sich Freiheit erarbeiten? Gehen Sie erstens davon aus, dass Sie in jeder Situation einen Handlungsspielraum haben. Und sei es nur, dass Sie entscheiden, mit welcher Haltung Sie dem anscheinend Unausweichlichen begegnen. Wägen Sie zweitens die Gründe ab und folgen Sie wann immer möglich den besten. Also Ihrer Einsicht.  Und bedenken Sie drittens, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Lernen Sie immer besser zu unterscheiden, was Ihre Entscheidungen bestimmt: Motive, die Sie eigentlich ablehnen, – oder gute Gründe.

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