Cogito ergo sum. Jeder kennt den Satz. Aber verstehen Sie die Pointe wirklich? Erst der argumentative Kontext bringt sie ans Licht. Am Anfang der Neuzeit schickt sich Descartes (1596-1650) an, die Schranken der mittelalterlichen Philosophie zu durchbrechen und eine neue zu begründen, an Gewissheit und Klarheit den beginnenden Naturwissenschaften ebenbürtig.

Dazu unterzieht er alles, was er bislang für wahr gehalten hat, einer radikalen Kritik. Er macht tabula rasa, lässt keine Erkenntnis gelten, die nicht vollkommen gewiss ist, an der ich auch nur im Mindesten zweifeln kann. Der Guillotine dieses Skeptizismus fallen unsere alltäglichen Vorurteile zum Opfer, die gängigen wissenschaftlichen Vorstellungen, unsere Sinneseindrücke und sogar die mathematischen Sätze. Denn überall könnten wir uns täuschen. Selbst wo wir uns im Besitz eines sicheren Wissens wähnen, könnte ein böser Geist uns dies vorgaukeln.

Was bleibt da noch? Gibt es denn gar keinen sicheren Boden unter meinen Füssen? Doch halt! Eines lässt sich nicht bestreiten: Gerade der Zweifel enthält eine Gewissheit, nämlich dass da einer ist, der zweifelt. Ich. Ich zweifle, also bin ich. Auf diesem unabweislichen Faktum baut Descartes in der Folge sein ganzes Gedankengebäude auf.

Descartes prägt bis heute unser Denken: Seinem Rationalismus folgend, trennen wir Geist und Materie strikt voneinander, legen wir einen Graben zwischen unsere Innenwelt und die Wirklichkeit „da draussen“, und der Vernunft gewähren wir Vorrang vor Gefühlen, Körperempfindungen und Intuitionen.

Kein Wunder, hat Descartes’ Dualismus Kritiker auf den Plan gerufen, nicht erst mit der modernen Neurowissenschaft. Der Gehirnforscher Antonio Damasio breitet in seinem Werk „Descartes‘ Irrtum“ eine Fülle von Forschungsergebnissen aus, die demonstrieren: Es gibt kein Denken ohne Gefühle. Menschen, die von ihren Emotionen abgetrennt sind –  sei es experimentell oder aufgrund von Gehirnverletzungen – sind ausserstande, vernünftige Entscheidungen zu fällen, und scheitern bei ihrer Lebensbewältigung kläglich. Gefühle aber sind mit unserem Körper verbunden. Körper und Geist bilden eine unauflösliche Einheit.

Müssen wir also Descartes schreddern? Keineswegs, meine ich. Auch wenn Körper und Geist tatsächlich aufs Engste verbunden sind, die irritierende Erfahrung des Skeptikers, die uns alle gelegentlich befällt, ist damit nicht erledigt: Ich bin eingesperrt in mein eigenes Ich. Zu meiner Innenwelt habe ich einen direkten Zugang. Sie ist mir unmittelbarer gegeben als deine und als die Welt „da draussen“.

Leben heisst, alles integrieren: die Aussenwelt, den Körper und den andern Menschen.

Freilich enthält sie weit mehr, als Descartes gelten lässt: nicht nur Begriffe und Schlüsse, sondern auch körperliche Empfindungen, Emotionen und Ahnungen – kurz, mein ganzes Bewusstsein. Darum müsste der Satz heute lauten: „Ich habe Bewusstsein, also lebe ich“. Und leben wiederum heisst, alles zu integrieren, was es enthält. Insbesondere das, was der Dualist aussperrt: die Aussenwelt, den Körper und den andern Menschen. Das wirklich ernst zu nehmen, bedeutet: nicht nur den Verstand pflegen, sondern gleichermassen die Sinnlichkeit. Nicht bloss für den Geist leben, sondern ebenso für unseren Körper. Nicht nur den Verstand sprechen lassen, sondern genauso die Gefühle. Sie meinen, Sie täten dies bereits? – Sind Sie sicher?

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