Impfpflicht, oder noch schlimmer: Impfzwang … die Wörter riechen nach Diktatur. Drum geht ein Aufschrei durch gewisse Kreise der Bevölkerung. Ist er berechtigt?

Zweifellos ist das Recht auf die Unversehrtheit des eigenen Körpers fundamental. Jeder Mensch hat die Freiheit, über seinen eigenen Körper selber zu bestimmen. Aber Rechte gelten nicht absolut, auch grundsätzliche nicht.

Gilt meine Freiheit, mich zu bewegen, wie ich will, unbeschränkt: Soll ich mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn blochen dürfen? Überall dürfen Freiheiten beschränkt werden, sonst gäbe es kein geregeltes Zusammenleben unter den Menschen.

Damit man eine Freiheit einschränken darf, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens ist dies nur da gestattet, wo sonst die Freiheit eines andern beschnitten würde. Und zweitens muss das Recht des andern, das geschützt werden soll, mindestens so grundlegend sein wie das eingeschränkte.

Wir haben in bestimmten Gegenden und zu bestimmten Zeiten Situationen erlebt, in denen beide Bedingungen erfüllt waren: In den heissen Phasen der Pandemie war die Ansteckungsgefahr, die von ungeimpften Personen ausging, sehr gross. Ausserdem stand das Gesundheitssystem auf der Kippe. Bricht es zusammen, kann man nicht nur die schweren Corona-Fälle, ob geimpft oder nicht, kaum mehr behandeln. Auch anderen Personen, die auf eine lebensnotwendige Operation angewiesen sind, muss man diese eventuell verweigern.

Beide Bedingungen waren somit zeitweise erfüllt: Die Freiheit anderer ist bedroht, und diese Freiheit ist mindestens so bedeutsam wie die eingeschränkte. Ethisch kann also eine Impfplicht durchaus erlaubt, ja sogar geboten sein.

Pflicht oder Zwang? Die Übergänge sind fliessend: Wenn wir Ungeimpfte nicht in Fussballstadien lassen, damit sie nicht Dutzende anderer anstecken können, kann man das kaum Impfzwang nennen. Wenn wir sie vollständig vom öffentlichen Leben ausschliessen, wohl schon.

Kurz, eine Impfflicht war in gewissen Lagen ethisch durchaus gegeben, und politisch dafür zu sorgen, dass die Menschen ihr nachkommen, in Ordnung. Und solche Situationen kann es wieder geben.

Selbstverständlich muss in jeder Lage neu abgewogen werden, welche Massnahmen angemessen sind. Doch auf jeden Fall liegt aus ethischer Sicht falsch, wer reflexartig aufschreit, sobald er die Einschränkung eines Freiheitsrechts wittert. Solche undifferenzierten Protestrufe beruhen auf einem Missverständnis darüber, welche Rolle Rechte in einer Gesellschaft spielen.