Der Satz scheint unmittelbar einzuleuchten. Selbstverständlich ist es sinnlos, die Ukraine mit einer Kriegsmaschinerie zu überziehen und Tausende von Menschen zu töten. Sinnlos war es, den Zweiten Weltkrieg zu entfachen und Abermillionen abzuschlachten. Sinnlos ist die Gewalt des iranischen Mullah-Regimes gegen die protestierenden Bürgerinnen.

Dass Gewalt sinnlos ist, scheint ganz generell zu gelten. Also nicht etwa nur dort, wo die Aggressoren scheitern wie Hitler und hoffentlich Putin. Nein, wir empfinden sie auch als sinnlos, wo sie ihr Ziel erreicht wie möglicherweise im Iran.

Und doch regen sich Zweifel, ob Horkheimers Behauptung wirklich in jedem Fall richtig ist. Die Ukrainer reagieren ja auch gewalttätig, sie wehren sich mit Waffengewalt. Die Alliierten setzten die geballte Macht ihrer Armeen ein, um Nazideutschland zu besiegen. Ist also nur die Gewalt der Aggressoren sinnlos, nicht aber die Gegengewalt der Verteidiger? Kommt es auf das Motiv an? Gilt Horkheimers Satz nur für die, welche damit beginnen, nicht aber für die Gewalt als Antwort?

Er lässt sich freilich auch umgekehrt lesen. Statt „Gewalt ist sinnlos“ will er sagen: „Sinnlosigkeit führt zur Gewalt“. Sie ist der Boden, auf dem die Saat der Gewalt wächst. Oder pointierter: Menschen, denen ein Sinn im Leben fehlt, neigen zur Gewalttätigkeit. Wer innerlich leer ist, füllt häufig dieses Loch mit Gewalt.

Aber Putin sieht doch einen Sinn, wenden Sie vielleicht ein: die Wiederherstellung eines russischen Grossreichs. Hitler war doch von einer Mission erfüllt: der „überlegenen arischen Rasse“ den gebührenden Lebensraum zu verschaffen. Die Mullahs glauben doch an ihre Vision vom Gottesstaat. Gewiss, aber diese Ziele sind eben sinnlos. Dass Menschen sie verfolgen, zeigt gerade an, dass ihr Inneres so wüst und leer ist, dass dort nur abstruse, kaltherzige und menschenfeindliche Phantasien gedeihen.

Vieles bestätigt diesen Zusammenhang: die Gewaltbereitschaft bei vielen Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft, die Aggression von Hooligans in den Stadien, die zahlreichen Verbrecher, die aus Frustration, Wut oder Gier kriminell werden. Überall zeigt sich: Wo ein Sinn fehlt, droht die Gefahr, dass Menschen zur Gewalt greifen. Oder umgekehrt: Gewalt ist sehr oft ein Indikator, dass ihre Urheber im tiefsten Inneren leer sind.

Nur, was ist denn sinnvoll und was nicht? Ein Blick auf die Motive oder die Lebenssituationen der Gewalttätigen lässt es erahnen: Macht und Reichtum bei Putin und Hitler. Ein kalter, menschenverachtender religiöser Moralismus bei den Mullahs. Das Manko an materiellen und gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten bei vielen Unterprivilegierten. Geldgier, Narzissmus oder Machtstreben bei manchen Kriminellen.

die Sinnfrage ins Zentrum des eigenen Handelns stellen

Das sollte uns hellhörig machen, wenn immer Menschen anzeigen, dass sie ihr Leben solch sinnleeren Werten wie Macht, Geld und Erfolg verschreiben. Das sollte uns davor warnen, Menschen an den Rand der Gesellschaft zu drängen und sie der materiellen und sozialen Aussichten auf ein sinnvolles Leben zu berauben. Mit einem Wort, das sollte uns antreiben, menschlich zu handeln, wo immer wir das vermögen.

Und Leader sind aufgerufen, die Sinnfrage ins Zentrum ihres Handelns zu stellen. Sie sollten sich nicht von Werten wie Erfolg, Geld oder Macht leiten lassen, sondern von dem, was Sinn stiftet. Und dies nicht nur mit Blick auf die Gestaltung ihres eigenen Lebens, sondern auch für die Menschen, denen sie vorangehen.

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