Man fühlt sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt: Eine Gruppe selbsternannter Heilsbringer will in Deutschland ruckzuck die Macht übernehmen. Sollen wir die Aktion unter der Rubrik allgemeine Volksbelustigung verbuchen? Oder stellen die Wirrköpfe eine politisch ernst zu nehmende Gefahr dar?

Beides. Es ist lächerlich und beängstigend zugleich. Genau diese Mischung von Komik und Ernst kennzeichnet in der Literatur die Gattung der Groteske. Friedrich Dürrenmatt war ein Meister dieses Genres.

Lächerlich sind die Figuren dieses Stücks: ein Prinz, ein Oberst a.D. der Bundeswehr, eine ehemalige Abgeordnete des Bundestags und noch ein paar weitere seltsame Gestalten. Lächerlich ist ihre Weltsicht: Der deutsche Staat ist illegitim, verschwörerische Mächte ziehen die Fäden hinter der Scheindemokratie, sie muss gestürzt und durch eine feudale Ordnung wie im 19. Jahrhundert ersetzt werden. Und lächerlich ist ihr Vorhaben: den Bundestag zu stürmen und einen Putsch durchzuführen.

Ernst dagegen ist zweierlei: Erstens, dass derlei Aktionen allzu oft Erfolg haben – siehe die zahlreichen Operettenregierungen in der dritten Welt. Und dass sie auch in etablierten Demokratien manchmal beinahe gelingen – denken Sie an Trumps und Bolsonaros Versuche, demokratische Entscheidungen durch Lügen und Aufwiegelung zu kippen.

Und zweitens sollte uns zu denken geben, dass immer wieder Menschen – die nicht einfach „dumm“ sind – auf derart abstruse Verschwörungsnarrative verfallen. Bedenklich ist das Versagen dessen, was Philosophen der Aufklärung common sense genannt haben. Der Begriff markiert den Bestand an Einsichten, den alle teilen, ohne dass man sie beweisen müsste. Der Bereich der Einschätzungen, die niemand bestreitet, weil sie zu offensichtlich richtig sind.

Doch die Philosophen irren sich. Der Common sense ist gar nicht so common. Immer wieder klinken sich Menschen aus dem vermeintlich Plausiblen aus. Warum? Der Grund liegt darin, dass es nicht allein die Vernunft ist, die den Ausschlag für unsere Überzeugungen gibt. In der Vielfalt der Argumente, im Dschungel der Fakten, in der Komplexität der Welt müssen wir die Argumente abwägen. Das Gewicht, das wir ihnen geben, liegt nicht in ihnen selber, vor allem dann nicht, wenn sie sich widerstreiten. Es sind unsere Gefühle, die den Argumenten in ihrem komplexen Gegeneinander Bedeutung verleihen. Das habe ich in meinem Ethik-Buch ausführlich dargestellt.

Wie können wir dafür sorgen, dass weniger Menschen auf groteske Verschwörungs-Geschichten verfallen? Gewiss, Aufklärung ist nötig: beharrlich auf den Fakten bestehen, Informationen vorbringen, im Dialog bleiben, auf Vernunft setzen. Aber das reicht nicht. Wir müssen auch ein Auge darauf haben, dass möglichst wenig solche Gefühle aufkommen, die Verschwörungstheoretiker antreiben: ohnmächtig und ausgeliefert zu sein, ungerecht und entwürdigend behandelt zu werden, aus dem Kreis der Dazugehörigen ausgeschlossen zu werden. Eine grosse und langfristig angelegte Strategie. Die Strategie der Menschlichkeit.