«Das Tätigsein der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit“ – so die gängige Übersetzung – gibt eine Antwort. Die Frage dazu, die wichtigste überhaupt, lautet: Wie führe ich ein gutes Leben?

Aristoteles (384-322 v.Chr.) geht aus von der Binsenwahrheit, dass wir alle nach der „Glückseligkeit“ streben. Worin diese aber besteht, ist alles andere als klar. In der „Nikomachischen Ethik“ will er dies herausarbeiten. Die Antwort gibt er erst ganz am Schluss, nachdem er sie mit vielen klugen und erstaunlich modernen psychologischen Argumenten vorbereitet hat. Drei Momente gehören zu dieser Glückseligkeit:

Erstens verdankt sie sich einer „Tätigkeit“. Allein der Lust zu frönen, zu geniessen, beispielsweise am Strand in der Sonne zu liegen, das macht auf die Dauer nicht glücklich. Wir Menschen wollen etwas tun, etwas erreichen, etwas bewirken, etwas schaffen. Passivität und blosser Genuss werden mit der Zeit schal und machen uns innerlich leer.

Zweitens geht es nicht um blinde Aktivität. Die Tätigkeit muss einer „wesenhaften Tüchtigkeit“ von uns entsprechen, einer spezifischen Fähigkeit. Nicht da sollen wir aktiv sein und wirken, wo Lust, Geld oder Ansehen winken. Unser Spielfeld liegt dort, wo wir herausragen, wo wir etwas besonders gut können. Dass wir dafür dann auch belohnt werden, nicht unbedingt monetär, sondern durch Anerkennung und Erfüllung, weiss Aristoteles natürlich.

Allerdings bestimmt er, hier liegt das dritte Element seines Konzepts, diese spezielle Tüchtigkeit für den Menschen ganz allgemein. Jede Art hat ihre spezielle Fähigkeit: Vögel können besonders gut fliegen, Affen behände klettern. Und der Mensch? Natürlich zeichnet uns die Vernunft vor andern Wesen aus. Sport ist also nicht die Lösung, und Holzhacken auch nicht. Es geht um eine geistige Aktivität, um eine Tätigkeit der Seele. Wir können uns in ein Verhältnis zu uns selber setzen, über uns nachdenken und über die Welt. Wir können reflektieren. Aristoteles nennt dieses Tun „betrachtend“ (theoretikós) und meint damit die ganze Wissenschaft, damals gleichbedeutend mit der Philosophie. Das ist unsere USP, die unique selling proposition des Menschen.

Aha, denken Sie vielleicht, Propaganda des Philosophen für seinen Berufsstand. Tatsächlich hat Aristoteles gut reden, wohlhabender Athener Bürger, der Zeit genug zum Forschen, Lehren und Reflektieren hatte, im Gegensatz zu den Sklaven, Bauern und Handwerkern. Doch wir dürfen seine Botschaft durchaus individuell interpretieren. Nicht alle Menschen sind zum Philosophieren geboren. Sie haben unterschiedliche Fähigkeiten: beraten, heilen, technische Lösungen entwickeln, organisieren, führen. Das alles sind auch geistige Betätigungen.

Ein gutes Leben kann nur ein tugendhaftes sein.

Bei alledem darf ein Moment des Aristotelischen Glückseligkeitsmodells nicht unterschlagen werden. Es liegt im Begriff der „Tüchtigkeit“. Das griechische Wort dafür (aretè) hat auch eine moralische Bedeutung. Es meint auch Tugend: „tüchtig“ nicht nur im technischen Sinn, sondern auch im ethischen. Nicht eine blosse Fertigkeit ist gemeint, sondern eine ethische Haltung, die das Tun trägt. Auch Einbrecher sind tüchtig – im Stehlen.

Aristoteles meint diese ethische Komponente, das „Tugendhafte“ immer mit. Darum ist die Frage nach dem guten Leben zugleich eine moralische. Und darum bedeutet die Antwort auch: Selbstverständlich kann ein gutes Leben nur ein tugendhaftes sein.

Wie immer die Frage: Was bedeutet das für Sie? Zum Beispiel könnten Sie prüfen: 1. Führe ich ein aktives, tätiges Leben? 2. Bin ich da tätig, wo ich wirklich gut bin? 3. Steht hinter meinem Wirken eine ethische Haltung?

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