Es ist doch klar, dass nur wenige regieren können und die andern folgen müssen. Wo sieht Hume da ein Problem? Der volle Wortlaut seines Satzes macht es klar:

„Nichts erscheint denen, die die menschlichen Angelegenheiten mit philosophischem Blick betrachten, erstaunlicher als die Leichtigkeit, mit der die vielen von den wenigen regiert werden, und die stillschweigende Unterwerfung, mit der die Menschen auf ihre eigenen Gefühle und Leidenschaften zugunsten derjenigen ihrer Führer verzichten.“

Warum sind die Menschen so selbstverständlich bereit zu gehorchen? Gewiss, manche murren oder gehen auf die Strasse. Aber das sind Ausnahmen. Weltweit gesehen halten sich die meisten Menschen an die meisten Vorgaben ihrer Führer. Die „Leichtigkeit“ auf Seiten der Regierenden und die „stillschweigende Unterwerfung“ der grossen Mehrheit sind tatsächlich erstaunlich.

Humes Jahrhundertsatz enthält also eine Frage, eine von eminenter Bedeutung. Der schottische Aufklärungsphilosoph fragt nach dem Wesen der Macht, und zwar aus der Perspektive der Gefolgsleute, nicht der Mächtigen. Warum stellen wir so selbstverständlich unsere Gefühle und Interessen hintan, zugunsten derer da oben?

In seinem Essay gibt Hume auch eine Antwort: In den Händen der Regierten läge zwar, weil sie viele sind, die physische Gewalt. Die Regierenden hingegen können sich auf nichts anderes stützen als das, was Hume „opinion“ nennt: die Überzeugung, die Meinung der Geführten. Diese Meinung begründet die Macht.

Quatsch, denken Sie vielleicht. Nicht Überzeugungen fundieren Machtverhältnisse, sondern Gefängnisse, Handschellen und Bajonette. Gewiss, das mögen die Mittel sein, meint Hume. Doch die Mächtigen müssen zumindest die Meinung derer gewinnen, die diese Mittel einsetzen. Kurzum, Macht setzt Zustimmung voraus. Ihre notwendige Bedingung ist ihre Anerkennung von Seiten der Gefolgsleute.

Dann fragt sich freilich, wie Führende die Zustimmung der Geführten gewinnen. Leider sieht es heute düster aus. Schauen Sie sich um: Autokraten jagen den Menschen so viel Angst ein, dass sie kuschen. Andernorts versprechen ihnen Populisten, ihre spezifischen Partikularinteressen zu befriedigen, oder sie verstehen es, ihre halbbewussten Ressentiments zu schüren.

Leader gewinnen die Zustimmung der andern.

Soll dies die Basis von Leadership sein? Sollen Menschen Führung aus Angst, Eigeninteressen oder primitiven Regungen anerkennen? Nein, wirkliche Leader suchen keine zähneknirschende, egoistische oder hämische Zustimmung, sondern eine aus Freiheit und Einsicht. Menschliche Führung appelliert an gemeinschaftliche Emotionen und lässt das Gegenüber frei. Damit hat sich allerdings die Macht verflüchtigt, eher müsste man von Einfluss reden. Und mit der „stillschweigenden Unterwerfung“ und der „Leichtigkeit“ zu regieren ist es auch vorbei.

Wenn Sie die Forderung blauäugig finden, haben Sie nicht unrecht: Bei gewissen Zeitgenossen ist es aussichtslos, ihre Zustimmung zu gewinnen, auch bei den allerplausibelsten Entscheidungen. Denen ist nur mit Macht beizukommen. Als Grundsatz aber bleibt die Einsicht: Leader setzen sich nicht gegen den Willen anderer durch, sondern gewinnen ihre Zustimmung.

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